Bitte bewerben! Aber wie?

> Ein Bericht über schnelle Bewerbungen und möglicherweise vorschnelle Entscheidungen.

Schneller, kürzer, einfacher – so lauten heute gemeinhin die Empfehlungen, wenn es darum geht, wie man Kandidat*innen das Bewerben erleichtern soll. „Turbo-Bewerbung“ oder „One-Klick-Bewerbung“ sind hier Synonyme für eine Candidate Journey, an deren Anfang bloß keine Hindernisse stehen sollen, die abschreckend wirken. Der Gedanke dahinter leuchtet ein: Immer mehr Menschen werden mit immer mehr Informationen überschüttet, als Unternehmen kämpft man eh um das verfügbare (digitale) Zeitkontingent von Individuen und viele wollen sich mobil, von unterwegs bewerben können. Wer vor diesem Hintergrund mit komplexen Verlinkungen, unüberschaubaren Karriereseiten, gigantischen Ladezeiten oder überbordenen Anforderungen daherkommt, hat relativ schnell das Nachsehen.

Also alles radikal kürzen, Unnötiges weglassen, verschlanken? Hinsichtlich Backend-Technik und der UX: ein klares Ja! Aber bei der Frage, ob beispielsweise nur ein CV als Bewerbung ausreicht, ist die Antwort weniger eindeutig. Die Deutsche Bahn ist hier vor einiger Zeit vorgeprescht und fordert von Azubis und Werkstudent*innen kein Anschreiben mehr. Das mag hinsichtlich der Verarbeitung einer Vielzahl von Bewerbungen mittels CV-Parsing durchaus sinnvoll sein, jedoch nicht für kleinere Unternehmen und auch nicht im Falle von Professionals. Zu hoch sind die Gefahren, dass man nur anhand eines Lebenslaufs Kandidat*innen einlädt, die sich hinterher als ungeeignet herausstellen.

Fakt ist, dass das Weglassen eines Anschreibens zugleich die Anzahl der Bewerber*innen in die Höhe treibt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man so auch die richtigen Kandidat*innen erreicht? Außerdem macht das die angebotenen Jobs per se nicht attraktiver, hier sind ganz andere Stellschrauben gefragt. Fakt ist auch, dass einige Recruiter*innen ein Anschreiben dennoch für wichtig halten, um sich ein umfassenderes Bild von der/dem Job-Suchenden zu machen sowie vertiefende Details zu erhalten*. „Für mich ist das Anschreiben deshalb unverzichtbar, weil es das erste Bild von der Bewerberin oder dem Bewerber komplettiert,“ unterstreicht Sandra Sura, HR-Managerin bei efcom. „Da stehen Infos drin, die ich sonst nirgendwo finde, wie etwa zum Eintrittstermin, zum Thema mobiles Arbeiten oder zur Umzugsbereitschaft. Letztlich sagt mir ein Anschreiben auch ein bisschen was über den Charakter der Person aus: Hat sie sich mit der Stelle und unserem Unternehmen auseinandergesetzt? Wo sieht sie oder er sich in Zukunft? Das müssen keine Romane sein, aber selbst einige wenige Worte reichen da of schon aus“, betont Sandra Sura.

Schließlich gibt es noch Einwände von denjenigen, die sagen: Mithilfe von ChatGPT kann sich heute jede/r ein Anschreiben formulieren lassen – wo bleibt da das Individuelle? Sicher, man kann sich beim Verfassen eines Anschreibens von KI-gestützten Systemen helfen lassen. Aber ChatGPT und andere bieten hier nur eine Art standardisierte Vorversion, die anschließend um Fehler bereinigt und individuell angepasst werden müsste. Es spricht also nichts gegen den Einsatz von KI bei der Bewerbung, aber die- oder derjenige müsste anschließend noch selbst Hand anlegen und sollte den Text nicht 1:1 rausschicken. Sonst kann das Schnelle auch schnell nach hinten losgehen.

Fazit: Schneller, kürzer, einfacher – das macht beim Ausgestalten von Bewerbungsprozessen nicht immer und überall Sinn. Man sollte sich dessen bewusst sein, dass dadurch mitunter Informationen verloren gehen können, die für eine sinnvolle Bewertung von Kandidat*innen durchaus wichtig sind. Man kann beispielsweise mit dem Anschreiben Zusammenhänge erläutern oder hervorheben, die aus einem Lebenslauf allein nicht hervorgehen**.

 

* Robert Half, Arbeitsmarkt-Report 2021
** www.karrierebibel.de, verschiedene Beiträge

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