efcom: Herr Brink, das Corona-Virus hinterlässt momentan so gut wie überall seine Spuren – in Wirtschaft und Gesellschaft, im Privaten sowie im Geschäftlichen. Wie erleben Sie die derzeitige Lage, auch ganz persönlich?
Brink: Unsere Kanzlei ist in der glücklichen Lage, über eine moderne EDV und die neuen Videokonferenz-Systeme zu verfügen. Wir können daher den Kontakt zu unserer Mandantschaft und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von denen viele im Home-Office arbeiten, aufrechterhalten. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass eine digitale Infrastruktur auf neuestem Stand über eine solche Krise hinweghilft. Ich selbst arbeite schon unabhängig vom Virus seit einigen Jahren im Home-Office. Und ganz persönlich: Mir fehlen – neben dem persönlichen Kontakt zu Familie und Freunden – die Biergärten, die Weinwirtschaften und die Bundesliga.
efcom: Der Bereich Factoring, mit dem Sie sich schon seit Jahren intensiv beschäftigen, ist ebenfalls von den COVID19-Auswirkungen betroffen. Wie gravierend schätzen Sie diese ein für den deutschen, aber auch für den europäischen Factoring-Markt? Welche rechtlichen Änderungen und Restriktionen spielen hier womöglich eine entscheidende Rolle?
Brink: Da wir in Deutschland vorwiegend „echtes“ Factoring betreiben, ist die Zusammenarbeit mit den Kreditversicherungen wichtig. Erfreulicherweise erhalten diese die eingeräumten Limite im Wesentlichen aufrecht. Mittel- und langfristig wird aber der Erfolg der Finanzierung der Lieferketten davon abhängen, in welchem Umfang diese Lieferketten wieder voll operativ sein werden, und zu welchem Zeitpunkt. Die verschiedenen Gesetze, die im Rahmen der Corona-Krise erlassen wurden, haben die rechtliche Stellung des Factors jedenfalls nicht verschlechtert.
In tatsächlicher Hinsicht ist aber die Risikosteuerung des Factors wegen des höheren Insolvenzrisikos bei den Kunden besonders gefordert. Dass es hierzu einer modernen Hard- und Software bedarf, dürfte außer Frage stehen. Zahlreiche Rechtsfragen ergeben sich auch beim Factoring: So löst z. B. die Berufung des Debitors auf die Moratoriumsregelung noch nicht den Delkrederefall aus. Soweit dem Debitor Rückzahlungsansprüche gegen den Factoring-Kunden zustehen, haftet der Factor hierfür nicht, auch wenn die Zahlung an den Factor erfolgt ist. Eine endgültige Klärung werden die Gerichte aber erst in einigen Jahren verkünden.
efcom: Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die deutsche Gesamtwirtschaft werden mit denen aus der Finanzkrise verglichen – manche sagen einen noch größeren Rückgang voraus. Wird das aus Ihrer Sicht einen entsprechend großen Dämpfer für das hiesige Factoring nach sich ziehen?
Brink: Aus der Finanzkrise stammt die Erfahrung, dass Unternehmen nach alternativen Finanzierungen – wie Factoring – gesucht haben. Auch heute lässt sich bereits wachsendes Interesse am Neugeschäft feststellen. Immer dann, wenn ein eigentlich gesundes Unternehmen seine Kreditlinien ausgeschöpft hat, ist an Factoring als ergänzende Finanzierungsquelle zu denken.
efcom: Werden möglicherweise bestimmte Factoring-Arten durch Corona begünstigt? Oder bleibt die bisherige Verteilung bestehen – Inhouse als dominante Factoring-Art, gefolgt von Fullservice und Fälligkeits-Factoring?
Brink: Ich gehe davon aus, dass Inhouse die dominante Variante bleibt, die Zusammenarbeit mit dem Factor auf digitaler Ebene aber weiter optimiert wird.
efcom: Wird es hier Ihrer Meinung nach auch Unterschiede in den Branchen geben, was die Factoring-Aktivität angeht – zum Beispiel im Fahrzeugbau oder in der Logistik?
Brink: Factoring kann nur die Umsätze finanzieren, die innerhalb einer Lieferkette entstehen. Überall dort, wo die Branchen schwächeln, kommt es folgerichtig auch zu einem Rückgang des Factoring-Umsatzes. Wo aber die Branchen boomen – z. B. in der Logistik oder bei Lebensmitteln, EDV und beim Krankenhausbedarf – wächst auch der Factoring-Umsatz.
efcom: Stichwörter Branche und Anpassung: Die Corona-Thematik könnte unter anderem die Konsolidierung bei Banken und Finanzunternehmen weiter beschleunigen. Welche Folgen ergäben sich daraus eventuell für das Factoring?
Brink: In der Factoring-Branche wird die Konsolidierung außerhalb von der Corona-Thematik von den zunehmenden Anforderungen an die Regulatorik getrieben. Kleine Institute können den Aufwand nicht mehr erwirtschaften und gehen dann mit größeren Instituten zusammen. Dies kann durch die Corona-Auswirkungen beschleunigt werden.
efcom: Andererseits könnte Corona durchaus für einen Schub bei der Digitalisierung und technologischen Weiterentwicklung in Unternehmen sorgen. Ein durchaus positiver Effekt für das Factoring, oder?
Brink: Jedenfalls sehen viele Unternehmen heute, dass bei vielen Bürotätigkeiten eine Anwesenheit an einem bestimmten Arbeitsplatz nicht jederzeit zwingend ist. Der Dachdecker kann nur auf dem Dach Dächer decken, aber der Büromitarbeiter kann, wenn er über die digitale Infrastruktur verfügt, auch von anderen Orten aus arbeiten (das gilt auch für Dachdeckerinnen und Büromitarbeiterinnen). Die hiergegen früher geäußerten Bedenken dürften sich nach Corona erledigt haben. Auch die Factoring-Institute und ihre Kunden werden, soweit nicht bereits geschehen, ihre digitale Struktur anpassen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend schulen und damit weitere Effizienzgewinne erzielen.
efcom: Was nehmen Sie für sich aus der momentanen Lage an Erfahrungen und Erkenntnissen mit? Was sind Ihre Empfehlungen für Unternehmen im Factoring-Bereich?
Brink: Ein solide aufgestelltes und langfristig orientiertes Geschäftsmodell mit zuverlässigen Mitarbeitern hat die größten Chancen, auch solche Krisen zu überstehen. Dies gilt für Factoring-Institute, aber auch für ihre Kunden. Auch eine Streuung der Kunden über mehrere Branchen kann hilfreich sein. Hierbei will ich aber nicht verkennen, dass es außerhalb der typischen Factoring-Kunden Branchen gibt, die die Einbrüche des Umsatzes selbst nie auffangen können – z. B. Hotel und Gaststätten, Touristik, darstellende Künstler und viele mehr.
efcom: Welche Themen beschäftigen Ihre Kanzlei zusammen mit Ihren Kunden?
Brink: Für unsere arbeitsrechtliche Abteilung, die sich auf die Vertretung der Arbeitgeberseite spezialisiert hat, ergeben sich gegenwärtig viele Fragen, im Verhältnis zu den Mitarbeitern. Im Gesellschaftsrecht legt die Corona-Krise Schwächen in der rechtlichen Unternehmensgestaltung offen, die es zu beseitigen gilt. Und im Bereich Banken und Finanzierung haben wir mit der Übernahme von Finanzierungsinstituten, der Begleitung von Plattformlösungen und neuen Formen der Refinanzierung durch Verbriefung zu tun.
efcom: Sie kennen die hiesige Factoring-Branche wie kein anderer und haben schon in den 1990er Jahren von und über Factoring gesprochen. Das war damals für die meisten noch absolutes Neuland. Jetzt schreiben wir 2020 und Factoring ist in den DACH-Ländern als Finanzierungsmittel weitgehend anerkannt. Wie ist Ihre Einschätzung, unabhängig von Corona: Wird sich die Erfolgsgeschichte des Factoring langfristig weiter fortsetzen oder auf einem bestimmten Niveau einpendeln?
Brink: Wenn nur Antworten, die sich auf die Zukunft beziehen, nicht so schwer zu finden wären! Gegenwärtig wird ein weiteres Wachstum des Factoring nicht nur bei uns, sondern auch in Schwellen- und Entwicklungsländern erwartet. Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren in internationalen Kommissionen an der Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen für Factoring-Institute – das sind aber dicke Bretter, die es dort zu bohren gilt. Wir hören aber immer wieder, dass der Bedarf nach einer forderungsbasierten Finanzierung in vielen Ländern vorhanden ist.
efcom: Vielen Dank für das Interview!