Im dritten Interview haben wir Herrn Wolf Stumpf von der renommierten Anwaltskanzlei Noerr LLP zu Gast. Er gibt seine Einschätzungen zu den möglichen Auswirkungen von COVID-19 auf das Factoring-Business ab. Antworten und Ausblicke von einem erfahrenen Branchen-Insider.

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Rasko Peric:
Heute zu Gast ist Herr Wolf Stumpf von der Anwaltskanzlei Noerr LLP. Herr Stumpf, Sie haben als Rechtsanwalt und Factoring-Experte in der aktuellen Krisensituation alle Hände voll zu tun. Welche Themen und Probleme beschäftigen Sie derzeit am meisten?

 

Wolf Stumpf:
Die COVID-19-Pandemie stellt alle Unternehmen vor große Herausforderungen. Im Bereich Banken und Finanzdienstleister erschweren darüber hinaus regulatorische Vorgaben pragmatische Lösungen für drängende Fragen, etwa wie Banken auf Stundungsanfragen von Debitoren im Lichte des § 18 KWG reagieren können. Hier sind praxisgerechte Lösungsvorschläge gefragt. Ein weiterer Schwerpunkt betrifft die Beratung zum Umgang mit insolvenznahen Kunden und Debitoren, etwa zum CovInsAG. Hiermit will der Gesetzgeber durch die COVID-19-Pandemie in die Zahlungsunfähigkeit geratene Unternehmen stützen und setzt befristet die Insolvenzantragspflicht aus. Das Gesetz privilegiert insolvenzrechtlich die Bereitstellung von „fresh money“ und die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung mit solchen Unternehmen. Weitere Anfragen betreffen den Versicherungsschutz unter der WKV, etwa ob die COVID-19-Pandemie unter einen Risikoausschluss, etwa als „höhere Gewalt“ oder Naturkatastrophe, fallen kann. Vereinzelt gibt es auch Überlegungen, zur Ausweitung des Factoring auf andere Forderungen als Handelsforderungen – so kam beispielsweise die Idee auf, Forderungen aus Kurzarbeitergeld vorzufinanzieren.

Des Weiteren häufen sich die Anfragen von Unternehmen, die für sich aktuell Factoring als attraktives Instrument zur Liquiditätssteuerung nutzen wollen. Handelsforderungen sind schließlich schnell in Liquidität verwandelbare Assets.

 

Rasko Peric:
Der Bedarf an Beratungsleistung ist in diesen Tagen sehr praxisorientiert. Unternehmen und Menschen wollen weniger über Theorien oder Modelle reden, sondern konkrete Antworten auf drängende Probleme. Was sind Ihre grundsätzlichen Praxis-Tipps für die Zeit während und nach COVID-19?

 

Wolf Stumpf:
Aus rein rechtlicher Sicht hat sich die Situation für Factoring-Anbieter durch die COVID-19-Pandemie nicht verschlechtert. Ob sie sich durch die aktuelle Gesetzgebung verbessert hat, bleibt abzuwarten. Ich rate Anbietern zu einer Intensivierung des Monitorings von Kunden und Debitoren. Im Fokus sollte hier insbesondere die Frage stehen, wie beständig das Geschäftsmodell der Kunden ist und ob wegen Lieferausfällen eine erhöhte Dilution droht (etwa weil Debitoren Schadensersatzansprüche geltend machen können). Da der Gesetzgeber die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht an das Erfordernis ernsthafter Sanierungsbemühungen geknüpft hat, be-steht ein erhebliches Risiko, dass „Zombie-Unternehmen“ weiter „durchgeschleppt“ werden. Hier ist auch für Factoring-Anbieter beim Abschluss neuer Factoring-Verträge Vorsicht und eine Prüfung solcher Kandidaten auf „Herz und Nieren“ geboten.

Wenn es um Forderungen gegen Debitoren im Ausland geht oder Forderungen von ausländischen Kunden gekauft werden, ist bei der Risikosteuerung jeweils auch die Gesetzgebung im jeweiligen Land, wo der Debitor oder Kunde sitzt, zu berücksichtigen.

Zu empfehlen ist auch, proaktiv mit der eigenen WKV und im Zweivertragsmodell mit der WKV des Kunden abzuklären, wie diese sich zu Zahlungszielverlängerungen bei Debitoren stellen. Wenn Anbieter bedingt durch die COVID-19-Pandemie ganz erhebliche Schwierigkeiten mit der Einhaltung regulatorischer Vorgaben haben und meinen, vom „Buchstaben“ des Gesetzes oder der MaRisk abweichen zu müssen, empfiehlt sich zunächst ein Blick auf die Homepage der BaFin, hier sind jeweils aktuelle aus Sicht der BaFin vertretbare Anpassungen gegeben. Diese passen jedoch nicht immer zum Factoring. Wenn eine Anfrage bei der BaFin nicht oder nicht so zeitnah wie erforderlich zum Erfolg führt, ist die Rücksprache mit dem eigenen Wirtschaftsprüfer und der Rechtsabteilung zu empfehlen. Jedes Abweichen von regulatorischen Vorgaben birgt Risiken und sollte daher gut begründet und entsprechen dokumentiert sein.

 

Rasko Peric:
Die COVID-19-Entwicklung birgt unabsehbare Risiken, aber auch Chancen – zum Beispiel in Bezug auf die Nutzung von neuen Technologien oder das Erschließen alternativer Geschäftsmodelle. Wie sehen Sie das?

 

Wolf Stumpf:
Ich denke, dass die COVID-19-Pandemie einen massiven Digitalisierungsschub bringen wird. Dies betrifft sowohl die internen Abläufe bei Anbietern als auch eine wachsende Bedeutung von Platt-formen, die als Vermittler zwischen Anbietern und Interessenten agieren, und Plattformlösungen für eine voll-digitale Abwicklung von Forderungskaufverträgen. Ob sich Factoring auch als Finanzierungsform für andere Forderungen als Handelsforderungen etablieren wird, bleibt abzuwarten. Neben dem Factoring von Kurzarbeitergeld oder anderen Forderungen, deren Schuldner der Staat ist, käme beispielsweise auch das Factoring von Verbraucherforderungen gegen Unternehmen in Betracht. Beispielsweise gibt es bereits Anbieter, die Erstattungsansprüche von Verbrauchern aus Flugverspätungen kaufen. Bei solchen Modellen wird im Einzelfall aber immer zu prüfen sein, ob die Grenze zur Rechtsdienstleistung überschritten wird oder nicht. Ob die Blockchain-Technologie im Factoring vom Digitalisierungsschub profitieren wird, halte ich für möglich, aber nicht zwingend.

 

Rasko Peric:
Wie wird Ihrer Meinung nach die viel zitierte „neue Normalität“ nach COVID-19 im Factoring-Bereich aussehen?

 

Wolf Stumpf:
Dies wird sehr stark davon abhängen, wie schnell und nachhaltig sich die Wirtschaft erholt. Ich wage dazu keine Prognose. In jedem Falle wird die „neue Normalität“ – wenn man einen solchen Begriff überhaupt verwenden möchte – durch eine wesentliche Zunahme digitaler Prozesse und damit verbundene Effizienzsteigerungen in den Abläufen und vermutlich weniger persönlichen Kontakt geprägt sein. Videokonferenzen und Home-Office werden in der Arbeitswelt zunehmen. Factoring als attraktives und verlässliches Instrument zur Liquiditätssteuerung und Absicherung von Ausfallrisiken wird durch die Krise sicherlich an Bedeutung gewinnen. Dies wird aber auch davon abhängen, in welchem Umfang WKV Versicherungsschutz aufrechterhalten und gewähren.

Sollte sich die ZEB dazu entschließen, Handelsforderungen zur Liquiditätsförderung anzukaufen, dürfte es zu einer erheblichen Marktverzerrung kommen.

 

Rasko Peric:
Haben Sie Kontakt zu anderen Kollegen im europäischen Ausland? Wie sieht dort die aktuelle Lage im Factoring-Bereich aus?

 

Wolf Stumpf:
Die Arbeitsbedingungen in großen Kanzleien sind in den meisten europäischen Ländern durch Home-Office, Videokonferenzen und Unterstützung der Mandanten bei Notmaßnahmen geprägt. Da die Politik in anderen Ländern Kontaktbeschränkungen bereits deutlich früher als in Deutschland etabliert hat, befinden sich die Anbieter dort bereits seit längerer Zeit im Home-Office-Betrieb oder arbeiten im rollierenden Wechsel im Büro bzw. von zuhause. Was ich aus unseren Nachbarländern höre ist, dass der Liquiditätsbedarf groß ist und sich ähnliche Fragen zur Risikosteuerung stellen wie in Deutschland.

 

Rasko Peric:
Wie gehen Sie ganz privat mit der derzeitigen Situation um?

 

Wolf Stumpf:
Ich arbeite von zuhause aus und beschränke mich auf notwendige Besorgungen und Spaziergänge im Wald. Natürlich sind die Einschränkungen gravierend und je länger sie dauern, desto schwerer fällt es, zumal ich ein geselliger Mensch bin, der gerne Schützenfest feiert, essen geht und ein Glas Wein im Kreis von Freunden und Familie zu schätzen weiß. Das beschränkt sich jetzt auf Video-Stammtische. In jeder Krise liegt trotz aller Unwägbarkeiten aber auch eine Chance und ich denke, wir werden hieraus gestärkt hervorgehen.

 

Rasko Peric:
Vielen Dank für das Interview!

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