Der Einsatz von Predictive-Analysis für Supply Chain Finance, Teil 1

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Was wäre, wenn man sich eine SCF-Welt wünschen könnte, wie man sie sich idealerweise vorstellt? Es gäbe dort stabile Materialströme über alle Kanäle und Grenzen hinweg. Wir hätten einen volldigitalisierten Work-flow auf Finanzierungsebene ohne Zeit- und andere Effizienzverluste. Entscheidende Kriterien hinsichtlich der ESG-Thematik werden in vollem Umfang berücksichtigt. Zu guter Letzt: SCF-Akteure haben eine optimale Planungssicherheit durch den Einsatz von Predictive Analysis-Tools auf KI-Basis. Das sorgt für maximale Resilienz, auch bei größeren Ein- und Umbrüchen auf den globalen Märkten.

Wieder zurück zur Realität. Die weltweiten Materialströme sind instabil und werden es auch in Zukunft bleiben. Von einer umfassenden Digitalisierung der gesamten SCF sowie der Berücksichtigung alle ESG-Faktoren sind wir (leider) noch relativ weit entfernt. Was uns aber bereits heute zur Verfügung steht sind Technologien, die dabei helfen, vorhandene Datenströme zu analysieren und auf deren Basis Vorhersagen zu machen bezüglich möglicher Finanzierungsrisiken und Disruptionen, aber auch etwaiger Chancen. Die Rede ist hier von Machine Learning (ML).

1. Die Grundlage: Daten, Daten, Daten

Lieferkettenbeziehungen sind mitunter hochkomplex, da sie viele verschiedene Akteure auf Anbieter- und Kundenseite einbeziehen müssen. Laut einer Schätzung der Boston Consulting Group sind an einem typischen Handelsfinanzierungsgeschäft in der Regel mehr als 20 Parteien beteiligt*. An Daten aus all den miteinander in Relation stehenden (Teil-)Netzwerken mangelt es entsprechend nicht: Ob Zahlungsverhalten, Nachfrageentwicklung, Ausfälle, Limitausschöpfung etc. – die historischen Informationen hierzu stehen SCF-Anbietern mitunter schon zur Verfügung, wenn es sich um langfristige Kundenbeziehungen handelt. Nur: Die Verfügbarkeit von Daten macht sie nicht automatisch nutzbar.

*Boston Consulting Group 2017

Exkurs: von Supercomputern und Exaflops

Um eine Verarbeitung riesiger Datenmengen – insbesondere für das Training innerhalb von KI-Modellen – zu ermöglichen, sind gewaltige Rechenleistungen erforderlich. Daher wundert es nicht, dass die weltweite Nachfrage nach leistungsstarken Rechenmaschinen seit dem KI-Boom exponentiell ansteigt. Länder auf der ganzen Welt investieren derzeit sehr hohe Geldsummen in den Ausbau von Supercomputern – wohl wissend, dass zukünftig der Zugang zu enormer Rechenleistung einer der strategischen Vorteile sein wird**. Nur um ein Beispiel zu geben: China plant bis zum Jahr 2025, die Rechenleistung auf insgesamt 300 Exaflops zu erhöhen, wobei ein Exaflop die Leistung von zwei Millionen parallel arbeitenden Laptops umfasst. Cloud Computing sowie Kooperationen ermöglichen es aber auch kleineren Unternehmen, KI-Modelle mithilfe der notwendigen Rechenleistung zu trainieren und zu nutzen (siehe auch „Kritische Faktoren“).

**Guido Appenzeller, Matt Bornstein, and Martin Casado, Navigating the High Cost of AI Compute, Andreessen Horowitz, April 27, 2023, https://a16z.com/navigating-the-high-cost-of-ai-compute.

2. Agile Systeme für dynamische Märkte

Aus den vorhandenen Datenbanken Wissen zu generieren, dass uns weiterhelfen kann bei der Entscheidungsfindung, wäre der nächste logische Schritt. Hier gilt es, ein Datenmodell so zu trainieren, dass es mithilfe von bestimmten Parametern (analog zur Bewertung eines Kunden durch einen Mitarbeiter) dazu in die Lage versetzt wird, relevante Kennzeichnungen auszugeben wie „geringes Risiko“, „mittleres Risiko“ oder „hohes Risiko“ (supervised learning). In einer weiteren Entwicklungsstufe lernt das System selbständig weiter und versucht, Beziehungen zwischen den Daten zu finden und einzuordnen (reinforcement learning). Wobei dabei nicht nur auf „interne“ verfügbare Daten aus den einzelnen Management-Systemen zugegriffen werden kann (wie Zahlungsverhalten und Finanzberichte etc.), sondern auch auf „externe“ Daten wie allgemeine Markttrends, Daten von Partnern und Auskünften sowie Informationen aus dem Web (Artikel, soziale Medien). Ziel ist es letztlich, die Dynamik der Märkte in einem agilen, selbstlernenden System abzubilden.

Quelle: Relevant advanced technologies for trade and supply chain finance, Whitepaper by Commerzbank and Fraunhofer IML, 2022

3. Ich sehe was, was Du nicht siehst!

Abbilden bedeutet in diesem Fall insbesondere, Muster erkennen zu können, die durch Menschen und/oder bisherige Methoden nicht ersichtlich wären. Diese Muster lassen sich anschließend interpretieren und dienen als Grundlage für weitere Empfehlungen, Warnungen oder Entscheidungen – beispielsweise Hinweise auf mögliche Risiken, die durch Betrug entstehen könnten. Wie bereits erwähnt: Mit der Zeit verbessert sich auch die Lernfähigkeit des Systems und es werden so immer genauere Ergebnisse erzielt.

 

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