Der Einsatz von Predictive-Analysis für Supply Chain Finance, Teil 2

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4. Beispiel-Szenario

Lassen Sie uns anhand eines Beispiels durchgehen, wie mithilfe von ML im Bereich des SCF verwertbare Ergebnisse generiert werden können. Gehen wir davon aus, dass der Nutzer eines solchen Tools eine international finanzierende Bank mittlerer Größe ist. Diese verfügt idealerweise bereits über eine historische Datenbank mit Angaben zum Zahlungsverhalten, zu weiteren Finanzkennzahlen (Bilanzen, Geschäftsberichts, KPIs etc.) sowie zu externen Informationen (Ratings, Kreditversicherungen etc.) ihrer Bestandskunden verfügt. Letztere sind Teil einer Supply Chain, entweder als Lieferant/Verkäufer oder als Abnehmer/Käufer.

 

Auf Basis der gesammelten historischen Daten finden dann erste Auswertungen statt, die uns helfen sollen zu verstehen, was die Daten uns sagen. Konkret geht es darum, entscheidende Faktoren zu identifizieren, die Einfluss auf den späteren Output haben könnten. Gab es beispielsweise ungewöhnliche Ereignisse wie COVID, die als Faktor eliminiert werden sollten? Welche Gründe liegen hinter bestimmten Mustern und Verhaltensweisen? Nachdem wir sie verstanden haben, beginnt der eigentliche Lernprozess, in dem wir dem ML-System beibringen vorherzusagen, was in der Zukunft passieren könnte. In diese so genannte Trainings-Datenbank fließen neben den ermittelten Parametern (wie erwähnt, u.a. auf Basis der fachlichen Expertise) auch externe Daten aus dem WWW mit ein, um aktuelle Entwicklungen sowie Trends abzubilden.

 

Unser trainiertes ML-System stellt nun Eigenschaften und (neue) Verbindungen her, die wiederum in konkreten Aktivitäten münden. Das sind beispielsweise Vorhersagen über die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls von Kunden innerhalb der Lieferkette aufgrund von regionalen bzw. branchenspezifischen Disruptionen, oder aufgrund von Betrug. Man begnügt sich somit nicht nur mit einer rein deskriptiven Analyse auf Basis historischer Daten, sondern erhält (immer besser werdende) Vorhersagen zu wahrscheinlichen Szenarien in der Zukunft. Sobald es allerdings zu externen Veränderungen kommt, die als systemrelevant eingestuft werden, muss eine entsprechende Adaption des ML-Modells erfolgen. Es muss in diesem Fall neu trainiert werden. Bei solchen Änderungen könnte es sich beispielsweise um tiefgreifende regulatorische Anpassungen auf den Märkten handeln.

 

Der eigentliche Clou liegt darin, dass man solche Predictive Analysis-Tools auf ML-basis für das gesamte Kunden-Ökosystem nutzen kann. Sprich: Wird ein Kunde als wahrscheinlich riskant eingestuft, werden auch alle mit ihm in Beziehungen stehenden Akteure im System untersucht und entsprechend bewertet. Man erhält somit ein intelligentes SCF-Cockpit, das in Echtzeit Hinweise auf mögliche Risiken generiert – nicht nur punktuell, sondern in Form eines „big picture“. Das Ganze funktioniert natürlich auch in Richtung potenzieller Chancen: Die Bank erhält Aussagen darüber, in welchen Branchen, Regionen etc. besondere Potenziale stecken, die man entsprechend ausschöpfen kann.

5. Kritische Faktoren

Wie steht es mit der Rechenleistung und den damit verbundenen Kosten? Wie bereits erwähnt, geht es um sehr große Datenmengen, die zu verarbeiten sind. Dazu sind entsprechend große Kapazitäten an Rechenleistung erforderlich. Bei On-Premise-Lösungen wäre das mit relativ hohen Investitionen in Soft- und Hardware verbunden. Cloud Computing eröffnet hier neue Möglichkeiten, ohne horrende Summen für die Speicherung und Verarbeitung der Daten zahlen zu müssen. Trotzdem kann es den Einwand geben, dass der Einsatz von KI/ML nur solchen Akteuren vorbehalten bleibt, die groß und zahlungskräftig genug sind. Ein Ausweg wäre hier, Partnerschaften zu bilden, um für Synergien zu sorgen – zwischen Banken und Fintechs beispielsweise.

 

Weitere Bedenken wären eine zu große Verlässlichkeit auf KI-basierte Systeme, die bei Falschinterpretationen zu erheblichen Verlusten führen können. An dieser Stelle sei ausdrücklich erwähnt, dass Ergebnisse auf Basis von KI nicht völlig unreflektiert verwendet werden sollten. Schließlich ist KI kein 100 %-iger Ersatz von Menschen, sondern dient unterstützend, um schneller auf genauere bzw. neue Ergebnisse zu kommen. Letztlich wird auch der Umgang mit sensiblen Daten (DSGVO) kritisch betrachtet. Hier müssen in jedem Fall entsprechend Sicherheitsstandards eingehalten und kontinuierlich überprüft werden.

Zusammenfassung

Supply Chain Finance kann durch den Einsatz von KI bzw. Machine Learning (ML) enorme Potenziale ausschöpfen, die bisher ungenutzt geblieben sind. Durch das Trainieren vorhandener Kundendaten in ML-Modellen lassen sich Empfehlungen, Hinweise und Warnungen für mögliche Geschehnisse in der Zukunft generieren. Ein solcher Predicitve Analysis-Ansatz ist auch kritisch zu hinterfragen – etwa hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Relation, der Datensicherheit und Zuverlässigkeit. Mithilfe von Cloud Computing und effizienten Cyber Sicherheit-Konzepten lassen sich solche Risiken jedoch minimieren.